Blatzheimer Geschichte und Geschichten
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Pfarrer August Kugelmeier, 1862-1951

10. Auswirkungen von Kugelmeiers Versetzung

Nach der Abreise Kugelmeiers hielten die Unruhen in Blatzheim an. "Weiber mit roten Kopftüchern bekleidet schlugen mit Kochtopfdeckeln und liefen beim Nahen der Polizeibeamten sofort in die Seitenstraßen oder Häuser." Der Gottesdienst wurde kaum noch besucht, "so daß von einem vollendeten Kirchenstreik gesprochen werden muß. Einzelne Weiber belästigten die Kirchenbesucher, um sie von dem Besuche der einheimischen Gottesdienste abzuhalten oder sie verrichteten die allgemeine Sonntagsfeier störende Arbeiten wie Fensterputzen [37]." Die Straßendemonstrationen gingen weiter, das Besudeln von Häusern hielt an, Straßenlaternen wurden eingeworfen, Gärten verwüstet, Gräber des Blumenschmuckes beraubt, die Reichen angepöbelt. Die Fronleichnamsprozession am 11. Juni unter dem neuen Pfarrer Wolters wurde boykottiert. 700 bis 800 Leute gingen in Kerpen mit. Bürgermeister Reichert beschreibt die Ereignisse so: "In welchem Unfange der Terrorismus die Bürgerschaft ergriffen hat, beweist die folgende Begebenheit: Am 15. Juni nachmittags 5 Uhr fand die Visitation der Pfarrkirche durch den hochwürdigen Herrn Weihbischof Dr. Müller statt. Aus dieser feierlichen Veranlassung hatten gegen frühere Jahre, wo das ganze Dorf in Fahnen und Girlanden prangte..., nur einige überzeugungstreue Katholiken ihre Häuser geschmückt. Der Kirchenbesuch beschränkte sich auf ca. 50 Personen und etwa 10 Kinder. Schmerzlich bewegt richtete der Bischof ernste Worte religiöser Ermahnungen an die im Gotteshaus Versammelten, während 100-120 Personen Männer, Frauen, einzelne davon mit rotem Fez bekleidet, und Kinder teilnahmslos in herausfordernder Weise die Straße besetzt hielten... Dem Sakramente der Firmung blieben die Kinder bis auf 20 % fern, dank des früheren Pfarrers Kugelmeier [38]." Am Sonntag, dem 21. Juni, wurde dann sogar vom Missionskreuz aus auf die Polizeibeamten geschossen. Der Blatzheimer Polizeisergeant wurde verletzt [39]. Im Bericht des Bürgermeisters vom 16. Juli heißt es am Schluß, "daß seit Festsetzung der Rädelsführer ... Ruhe in Blatzheim eingetreten ist im bürgerlichen Leben - nicht aber im kirchlichen Leben."

Verantwortlich für die gesamten Vorkommnisse machte Bürgermeister Reichert neben Pfarrer Kugelmeier vor allem die führenden Mitglieder des Katholischen Arbeitervereins. Die Gutsbesitzer sahen im Wirken Kugelmeiers die Ursache für die Vorkommnisse (vgl. auch Kap. 7): "Was Sie durch Wort und Schrift ausgesät haben, davon haben wir jetzt die Ernte. Eine durch Haß und Zwietracht zerrissene Gemeinde. Unter Ihren Anhängern Brandstifter, Wegelagerer, Mordbuben... Warum haben Sie nicht längst in Ihrem katholischen Hausfreund ein Wort zur Ruhe gesprochen? Sie hätten dann vieles, was Sie durch diese Schrift verschuldet, sühnen können... Wollen Sie noch leugnen, daß Sie die traurigen Ereignisse heraufbeschworen haben? Ereignisse, die noch keine Zeitung richtig geschildert hat.... Wäre der Herr Bürgermeister persönlich nicht so furchtlos und energisch gewesen, wäre Blatzheim wahrscheinlich ein Schutthaufen geworden, ein Raub der Flammen und nicht ein Mordversuch, sondern alle Leute, die nicht Ihres Sinnes waren, wären ermordet worden4O." Hierauf antwortete Pfarrer Kugelmeier am 3.7.1914 u.a.: "Gewiß verurteile ich alle Exzesse strenger wie Sie..., habe aber die Wurzel viel tiefer gefunden als in meiner kaum neunmonatlichen Anwesenheit... Wenn auch einige des Volkes sich sehr verfehlt haben, so ist damit das Volk noch lange nicht schlecht. Bei diesen einigen ist's an den Tag gekommen, aber o weh, wenn die Schandtaten einer anderen Gesellschaft an den Tag kämen4l!" Ähnlich hatte er sich am 27.6. im Rheinischen Merkur geäußert: "Indem man andere herausfordert und in rebellische Stimmung zu versetzen sucht, ... will man das schreiende, eigene unruhige Gewissen zur Ruhe bringen.... Eines ist gewiß, am Volke liegt die Schuld nicht ... Also, Ihr Blatzheimer, wenn ihr glaubt eure Rechte verfechten zu müssen, so tut ihr es selbstverständlich nur mit durchaus erlaubten Mitteln, jede Ruhestörung, jeder Krawall sei ausgeschlossen. ... Gehet wieder ruhig in eure eigene Pfarrkirche und kommt dort in derselben eifrigen Weise wie unter dem früheren Pfarrer euren Christenpflichten nach..." Neben dem Aufruf zur Ruhe machte Pfarrer Kugelmeier mehrmals in diesem Artikel seine "Gegener" für die Mißstände in Blatzheim verantwortlich; hierauf gab es Beschwerden beim Generalvikariat, das Pfarrer Kugelmeier erneut strengste Zurückhaltung "in Wort und Schrift" vorschrieb [42]. In einem Schreiben an ein Vorstandsmitglied des katholischen Arbeitervereins vom 16.12.1914 meint Pfarrer Kugelmeier: "Es ist gekommen, wie es kommen sollte und wie es bei den Verhältnissen in Bl. auch kommen mußte. Es ist gut gekommen. Bl. hat marschieren gelernt und kann "Front" machen. Bl. kann kämpfen, und wie man sehen mag, auch Siegen. Die Volksseele läßt sich so leicht nicht überwinden oder verleugnen, man wird immer mit der großen Menge rechnen müssen... Muß nicht das große Volk jetzt den großen Weltkrieg führen...? Man verachte deshalb das Volk nicht, man unterschätze nicht den Wert des gewöhnlichen Mannes. Und wäre das Volk in Bl. in früheren Jahren selbstbewußter gewesen, so selbstbewußt wie jetzt, es hätte dann nicht gegangen, wie es leider in der ersten Hälfte dieses Jahres, zumal in den Monaten Juni, Juli ging... Ruhiges, aber entschiedenes und zielbewußtes Arbeiten muß es bringen. Mit allen und nur mit führend erlaubten Mitteln soll das Volk sein Recht sichern und verteidigen. Bei der letzten Wahl hat man das getan und man hat erreicht, was man wollte ... Bl. ist ein Stück gestiegen in meinen Augen [43]." Die letzten Worte zielen auf die Kirchenvorstandswahlen vom 6. Dezember.

Hierzu heißt es in einem Schreiben von Loes an den Grafen Otto Beissel: "Gleichwohl ist es der Opposition gelungen, bei den letzten Wahlen zum Kirchenvorstand und zur kirchlichen Gemeindevertretung ihre Kandidaten durchzubringen, bei etwa 500/o Stimmenenthaltung und gegen 1/5, die ihnen entgegen traten. Dabei waren aber die Kandidaten so gewählt, wenigstens zum Kirchenvorstand, daß gegen die Personen selber nicht allzuviel eingewandt werden konnte. Daß ich auch persönlich gerade in der Wahl stand und unterlag, ist weiter nicht von Belang [44]..."

Viele Blatzheimer waren in den Krieg gezogen; über Kugelmeier und seine "Gegner" wurde noch weiterhin gesprochen; es gab noch Verhandlungen in Köln im Generalvikariat; bis Ende 1916 gibt es noch einen Schriftwechsel von Loes mit dem Kölner Erzbischof; das Thema Kirchenneubau wird weiterhin behandelt; Baron von Loe kehrte wieder in den Kirchenvorstand zurück; Einladungen an ihn ab März 1918 belegen dies; auch die Blatzheimer Pfarrkirche füllte sich wieder. In äußerst schwierigen Zeiten - zur Zeit der Inflation des Jahres 1923 (Pfarrer Wolters am 13.8.1923 an von Loe: "Bei der Genossenschaftskasse in Köln haben wir ... 91 Millionen ... geliehen") - wurde mit dem Neubau angefangen.

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