Blatzheimer Geschichte und Geschichten
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Pfarrer August Kugelmeier, 1862-1951

12. Historische Einordnung

Am 12. Januar 1912 und bei den anschließenden Stichwahlen wurde die SPD stärkste Reichstagspartei: Die Mandate schnellten von 43 auf 110 empor; der Anteil der SPD an der Gesamtstimmenzahl war auf 34,8 % gestiegen. Der Sieg bei den Reichstagswahlen war ein sensationeller Erfolg; die Arbeiterschaft im Kaiserreich hatte ihre Stärke bewiesen; das Machtbewußsein der Arbeiter insgesamt war gestärkt - auch dort, wo von den Arbeitern noch andere Parteien wie das Zentrum gewählt worden waren, z.B. in Blatzheim.

Dem allgemeinen Wahlrecht bei den Reichstagswahlen stand bei den Wahlen zum Gemeinderat und zur zweiten Kammer des preußischen Landtages bis 1918 das ungleiche und indirekte preußische Dreiklassenwahlrecht gegenüber. Dabei wurden die Wähler entsprechend ihrem Anteil am Steueraufkommen in drei Klassen eingeteilt, wobei jede Klasse eine gleich große Anzahl von Wahlmännern stellte. Aufgrund ihres geringen Steueraufkommens blieben die Stimmen der Massen der Arbeiter relativ wirkungslos, die Oberschicht dagegen verfügte über einen großen Einfluß bei der Zusammensetzung der Gemeinderäte und der zweiten Kammer des Landtages. So waren auch im Gemeinderat von Blatzheim die Gutsbesitzer und reichen Bauern die bestimmenden Persönlichkeiten.

In Blatzheim gab es neben dieser Oberschicht die sog. Mittelschicht, bestehend aus Kleinbauern und Handwerkern und Geschäftsleuten; die untere Klasse bestand aus den Arbeitern - den Land- und Fabrikarbeitern und den Arbeitern in den Handwerksbetrieben.

Blatzheim war an das Eisenbahnnetz angeschlossen; somit war die Möglichkeit gegeben, daß auch immer mehr Blatzheimer im Braunkohletagebau und in den Brikettfabriken, die seit 1890 einen immer größeren Markt eroberten, Arbeit fanden. Die Abhängigkeit von den Gutsbesitzern und Großbauern, wo viele bisher als Knechte arbeiten mußten, ließ immer mehr nach. Die Grubenarbeiter, wie sie damals hießen, erweiterten durch Veränderung ihres Arbeitsplatzes ihr Blickfeld, erkannten ihre eigene Stärke. Dies hatte in einem Dorf wie Blatzheim, wo man seine Freizeit zum Teil an der Theke verbrachte und miteinander redete, sicherlich Auswirkungen. Auch die Ackergehilfen, Lohnarbeiter, Pferdeknechte wurden sich allmählich ihrer abhängigen Position bewußt. Sicherlich nicht von ungefähr waren Leute mit eben genannten Berufsbezeichnungen nach dem Bericht des Bürgermeisters führend an den Unruhen in Blatzheim beteiligt. Hinzu kamen Leute des Mittelstandes wie Ackerer (einfache Bauern) oder Maurer (Handwerker).

Nach dem Erlaß der Enzyklika "Rerum novarum" durch Papst Leo XIII. am 15. Mai 1891 - die Enzyklika gilt als grundlegende Stellungnahme der katholischen Kirche zur sozialen Frage - entwickelten sich in Deutschland auch katholische Arbeitervereine, die quasi als Vorstufe zu den christlichen Gewerkschaften gedacht waren. Die Vereine standen unter geistlicher Führung, sie sollten sich um kirchlichreligiöse Betreuung kümmern, sollten den Sozialismus abwehren und die Arbeiterschaft "von der Klasse zum Stand" erziehen. Direkt gewerkschaftliche oder politische Aufgaben hatten die katholischen Arbeitervereine nicht [47]. Wie oben dargestellt, kam es auch in Blatzheim zur Gründung eines katholischen Arbeitervereins, in dem wegen der besonderen Blatzheimer Verhältnisse nicht nur Arbeiter Mitglieder waren. Bürgermeister Reichert sah dies so: "Den Herd der Kampfstätte bildet der von dem früheren Pfarrer als "Vermächtnis" gegründete kath. Arbeiterverein, dem die Arbeiter und der ganze Mittelstand der kleinen Landwirte und Gewerbetreibenden heute angeschlossen ist [48]." Der von Kugelmeier gegründete Arbeiterverein wird Monate später auch vom Erzbistum anerkannt. Der neue Pfarrer Wolters wird Präses [49].

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