Blatzheimer Geschichte und Geschichten
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Pfarrer August Kugelmeier, 1862-1951

6. Kugelmeiers Einsatz für den sofortigen Bau im "Katholischen Hausfreund"

"Ich habe in der Blatzheimer Geschichte eine spitze Feder geschrieben, das aber nicht der Personen, sondern des Volkswohles wegen." Diese Worte Kugelmeiers stammen aus seinem Manuskript, aus dem auch noch folgende Aussage wiedergegeben werden soll: "Es ist aber immer so, wenn irgendwo starke Meinungsverschiedenheiten in einer Sache entstehen, so fliegen die Späne hüben und drüben ... Man hat gesagt, ich hätte etwas sanfter zu Werke gehen sollen und können. Das schien mir nicht am Platze und schließlich flötet jeder Vogel wie ihm der Schnabel gewachsen ist" [13].

Die "spitze Feder" schrieb Kugelmeier in seiner Wochenzeitschrift "Katholischer Hausfreund", in der der alte Kirchturm als Berichterstatter auftrat (vgl. Kap. 2), der - so Kugelmeier - sagte und beklagte, was er sah, hörte und gelesen hatte. Ironisch, manchmal vielleicht auch überheblich aufgrund seiner Welterfahrung wirkte die spitze Feder Pfarrer Kugelmeiers in Artikeln, die anfangs nicht direkt mit dem Kirchenbau zu tun haben. So heißt es am 28.9.1913 im Artikel "Von Heiligenhaus nach Blatzheim": "... Wer auf der Welt, der nur etwas beschlagen in der Geographie ist, wüßte nichts von der Berühmtheit beider Orte Heiligenhaus und Blatzheim? Am ersten Ort verfertigt man Schlösser und Riegel, die in alle Welt wandern: man bringt also hier die Welt in Sicherheit, stellt sie hinter Schloß und Riegel, während man in Blatzheim, wo es eine ganz famose, hochindustrielle Ackerwirtschaft gibt, die Menschen am Leben erhält. In Heiligenhaus gibt's die besten Schlösser und in Blatzheim das beste Korn, den besten Weizen, den besten Hafer und die süßesten Zuckerrüben; die besten Kartoffeln aber und die allerbesten Menschen gibt's an beiden Orten ... Blatzheim aber hat der Redakteur ... herausgefunden, daß dieser Ort eigentlich und auch uneigentlich der Mittelpunkt der Welt ist. Geht man nämlich von Blatzheim aus rund um die Erde, so hat man nach allen Himmelsrichtungen ganz genau dieselbe Entfernung; ..." Noch ein Beispiel für Ironie und Anspielungen sei angeführt, und zwar aus dem Artikel "Aus der Heimat des ‚Katholischen Hausfreund"' vom 23.11.1913: "...Blatzheim ist sehr alt ... Wie es sehr hochbetagte Menschen gibt, die dennoch den Kopf nahe an der Erde behalten haben, die klein geblieben sind, so ist auch Blatzheim trotz des hohen Alters klein geblieben. ‚Klein aber fein', das heißt; ‚fein', wenn der Regen die Straßen hübsch gefegt, die Sonne dieselben schön getrocknet hat ... Wenn's klein geblieben ist, so liegt das daran, weil es sich einen ungünstigen Platz auf Erden wählte, aus Bescheidenheit natürlich, jetzt aber hat's bis zu einem Straßenpflaster noch nicht gebracht: hat aber wenigstens elektrisches Licht und Wasserleitung ... Und Pferde, Ochsen, Kühe, Schafe, Rinder, Schweine, Ziegen usw. gibt es ganz großartige Prachtexemplare. Ob's auch schöne große Esel daselbst gibt, ist möglich. ..."

Mit Ironisierungen solcher Art konnte Kugelmeier sicherlich nicht das Wohlgefallen der "Esel" gewinnen, konnte sich aber der Zustimmung und der Freude des "Volkes" sicher sein.

Der "alte Kirchturm in Bladersheim" beginnt mit seiner Erzählung über den Kirchenneubau am 9.11.1913: Voll Freude erzählt der Turm, daß er restauriert und daß eine neue Kirche gebaut werden soll, weil die alte Kirche viel zu klein ist ."Es ist ein Gedränge und eine Luft, daß Gott erbarm... 99,9 Proz. sehnt und verlangt eine größere, schönere gesundere Kirche an meiner Seite. Und seitdem ein stürmischer Brausewind, ebenfalls eine Menschensorte, an den Ort gekommen ist, gibt es weder Gnade noch Pardon für mein mit mir verbundenes Anhängsel; nicht einmal eine Gnadenfrist von 5 Jahren will er gewähren." Auch erfährt man in dem Artikel, daß Pfarrer Kugelmeier "von Haus zu Haus schreitet", um für die neue Kirche zu sammeln.

Im Artikel vom 16.11.1913 sind Wandel und Konflikt erkennbar. Der Turm geht hart mit denen ins Gericht, die angeblich aus Pietät vor den Toten - der alte Friedhof war ja vorhanden - noch 10 Jahre warten wollten; massive Vorwürfe über die Zustände des Friedhofes werden erhoben: "...'Die Pietät gegen Tote' sagt man, ‚soll bewahrt bleiben und in zehn Jahren niemand an die Gräber rühren'. Vielleicht aber rühren andere Tote, die jetzt noch leben, früher schon an längst begrabene Leichen. Jede Stunde, die von mir, dem Turm herunterschlägt, verwundet, und eine, es ist die letzte, tötet, tötet auch den, der so leichtsinnig über zehn Jahre verfügt. Oft schon sah ich in stiller Nacht, wenn alle schliefen, auf dem Friedhof unten, wie schon seit Jahren die Pietät gegen Tote so schlecht gewahrt wurde; sah unzählige Menschenköpfe schimmern, wie faules Holz leuchten, weil in der Erde keinen Platz sie fanden. Kinder sah ich spielen mit Totenköpfen, Hunde trugen Totengebeine davon, auf den Straßen nebenan kann man Menschenknochen finden. ... Wo aber bleibt die Pietät gegen die Lebenden? Hunderte Kinder knien lang und hart auf kalten, feuchten Steinen; empörend ist es anzuschauen ... Empörend, verabscheuungswürdig, strafbar, da noch lange Jahre warten sollen, ohne jeden Grund..."

Lange schwieg der Turm, bis er am 14.12.1913 wieder mit seiner "Erzählung" fortfuhr. Er zieht in diesem Abschnitt die Vergangenheit zurate, in der trotz aller Widrigkeiten immer wieder die alte Kirche erweitert oder nach dem Brand des Jahres 1785 eine neue gebaut worden ist. "...O Ja! die alten Blootzemer waren keine üblen Menschen, sie besaßen Idealismus und Opfersinn ... Sie schauten nicht wie das Vieh zur Erde, wühlten nicht im Staube wie der Maulwurf und Mistkäfer, sondern aufwärts war ihr Blick gerichtet. ... Also wird sich die jetzige Generation in Bladersheim ein Beispiel an der in's Grab gesunkenen, aber dennoch emporgestiegenen Generation der Vorzeit nehmen. ... Das alte, häßliche Lied von Aufschieberei will ich nicht mehr hören. ... Aufschieb ist ein Tagedieb! Und keiner mehr soll fortan dem Kirchenneubau hindernd und hemmend im Wege stehen...". Abschließend stellt der Turm zufrieden fest, daß der Friedhof in Ordnung gebracht worden ist und daß "manches Menschengebein ... nun ein gebührendes Ruheplätzchen in der Erde gefunden hat."

Äußerst heftig schreibt Kugelmeier im neuen Jahr, wohl am 21.2.14, in dem Artikel "‚Groß genug'! Für Blotzem von Ernst von Blotzem." Es findet quasi eine Verhöhnung derjenigen statt, die behaupten, die Kirche sei groß genug. Mittlerweile hatte höchst erfolgreich vom 8. bis zum 17. Febr. die Gemeindemission stattgefunden. Die Kirche war viel zu klein. So heißt es am 1.3.14.: "O, wie das Gotteshaus angefüllt, nicht das kleinste Plätzchen und Winkelchen blieb unbesetzt, selbst der Chor und die Sakristei mußte von den Gläubigen benutzt werden. Stundenlang hat man ausgeharrt in sehr unbequemer Stellung, die Luft war schwül, dumpf und stickig, das Wasser floß vom Niederschlag der Atmung so vieler von den Wänden."

Doch zurück zum Artikel "Groß genug"!: "'Die Mission', so sagt man auch, 'hat es gezeigt, daß die Blotzemer Kirche noch groß genug, ja eigentlich noch zu groß ist, denn alle Blotzemer gingen hinein und noch Fremde dazu'. ... 'O jo!' sagt man in Blotzem, 'bei der hl. Mission waren viele Menschen in der Kirche, aber die sagen, die Kirche ist groß genug', sitzen gemütlich in gemieteten Bänken ...". Dann wird folgender Vorschlag gemacht: "An den Wänden der Kirche habe ich noch niemanden hängen gesehen. Es ließen sich doch so eine Art Regale anbringen, oder "Schottelbänk", wie die Bauersleute sie früher in der Küche hatten (man stellte Teller, Schüsseln, Töpfe darauf) und auf diesen könnte man die Kinder aufstellen; oder auch Erwachsene; vielleicht könnte man diese Plätze vermieten. Um Geld zu sparen, könnte man's einfacher machen, Regale und "Schottelbänke" fortlassen, einfach Haken in hübschen Reihen, in entsprechendem Abstand in die Wände schlagen. Die Leute bekämen dann einen Gurt oder Strick um den Hals, pardon, unter den Armen her, und der Kirchenschweizer könnte sie der Reih nach aufhängen ... Aber es läßt sich des Platzes noch mehr schaffen... Da stehen auf verschiedenen Sockeln und Postameriten eine Reihe Heilige. Diese könnte man, weil sie ohnehin abständig und wurmstichig geworden sind, absetzen, und auf die freigewordenen Sockel und Postamente könnte man einige Blotzemer Heilige postieren. Das wären dann allerdings komische Heilige, aber man hätte doch wieder Platz gewonnen ...".

Jeder in Blatzheim wußte, wer gemeint war: Kirchenvorstands- und Gemeinderatsmitglieder, und zwar die Reichen des Ortes - die Gutsbesitzer und reichen Bauern - allen voran der stellv. Vorsitzende des Kirchenvorstandes von Loe und der Bürgermeister Reichert. Die Angriffe Pfarrer Kugelmeiers gerade in dieser Ausgabe der Zeitschrift werden noch stärker: "... Es stimmt auch nicht mit der Moral, wenn einer, der das Volk vertreten und auf das Wohl der Gesamtheit sehen soll, sich von Einigen erbärmlich gebrauchen läßt gegen den Willen der Gesamtheit und gegen das Wohl derselben. Das ist Schulbubenart, Kriecherei, Speichelleckerei und dergleichen mehr... Aber eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus." Gemeint ist hier offensichtlich Bürgermeister Reichert.

In derselben Ausgabe des "Hausfreund" unter der Überschrift "Ganz leise, bescheidene 'Frage' in Blatzheim" erreichen die Angriffe soziale, gesellschaftliche, gar politische Dimension. Die Zitate sprechen für sich: "...Der Kirchenneubau ist eine Gemeinde-, eine Vo1kssache und keine Sache einzelner Personen. ..., es ist aber höchst unedel und verwerflich, das ganze Volk terrorisieren zu wollen, ihm das zu verweigern, oder vorenthalten zu wollen, wozu es ein gutes, untrügliches Recht hat ... . Es ist wahrhaftig so, wie dieser Tage jemand sagte: "Hätten wir einige Reiche weniger in der Gemeinde, so ginge alles gut, zur allgemeinen Zufriedenheit und zum Nutzen der Gesamtheit." Weshalb spielen denn solche, die an der Spitze schreiten und löblich den übrigen im Eifer für Gottes Ehre ein gutes Beispiel geben sollten, in der Kirchenbauangelegenheit den Hemmschuh und die Bremse?

Etwa weil die Kirche ein Gemeingut ist und dem Aermsten so viel gehört wie dem Reichsten? ... Ist man bange, das Volk möchte durch die Freude an einer neuen Kirche und durch wohlgeordneten Gottesdienst immer besser und glücklicher, allerdings auch etwas selbstbewußter werden? ... Das sind Fragen, die sich dem denkenden Menschen aufdrängen..."

Im "Hausfreund" vom 15. März werden Bürgermeister und Gemeinderat direkt angegriffen mit Worten wie "Selbstsucht" oder "mit dem Bürgermeister an der Spitze, den Kirchenbau zu hintertreiben und in unbestimmte Ferne zu drängen" und daß der Gemeinderat eine "große Null" sei. Bekanntlich ging es ja seitens des Gemeinderates um die Überlassung des alten Friedhofes und die Anlage eines neuen. Im vorliegenden Artikel erfahren wir auch, daß Pfarrer Kugelmeier in der Kirchenangelegenheit einschließlich Friedhof einen direkten Appell mit einer Unterschriftenliste an den Regierungspräsidenten nach Köln gerichtet hat - damals offensichtlich ein völlig üblicher Weg, der zu heftigen Reaktionen Anlaß gab. Zitat aus dem "Hausfreund": "Die unterzeichneten Pfarreingesessenen von Blatzheim machen hierdurch bei der Königlichen Regierung zu Cöln ihren Wunsch und Willen kund, daß ... ohne jeden Aufschub, sobald wie nur immer möglich begonnen werden soll."

Die Gemeindemission, die so hervorragend besucht war, die Neugründung des Müttervereins, der Marianischen Jungfrauenkongregation, der Marianischen Jünglingskongregation, die anstehende Vereinigung der Männer sowie die Petition nach Köln wertet Pfarrer Kugelmeier als Zustimmung für sein intensives Eintreten für den sofortigen Kirchenbau. So frohlockt er gleichsam am 29.3.1914:

"Das Volk stand auf, Der Bau geht los;
Wer legt die Hände feig in den Schoß?"

Die Frage: 'Soll gebaut werden, soll später gebaut werden' ist gelöst und die Antwort der Gesamtheit ist: 'Es muß gebaut werden, es soll recht bald gebaut werden, so bald nur eben möglich.' ... Der Volkswille hat gesprochen und Vox populi,vox Dei. Die Stimme des Volkes ist Gottes Stimme.... Es wäre eine abscheuliche, schwere Sünde und Schande, unter solchen Umständen warten zu wollen."

Allgemein gehaltene Artikel wie "Menschenkenntnis Von A. Geradeaus" oder "'Viehställe', 'Menschen-Wohnungen', 'Gottes-Häuser'. Plauderei von Dr. Grobian" folgen am 10.5.1914 und zielen ohne jeden Zweifel auf die Blatzheimer Verhältnisse: "Beim Militär sagt man: 'Der Mensch fängt erst mit dem Leutnant an', beim Zivil aber heißt es: 'Wenn das erste hunderttausend Mark überschritten ist, wird man zum Menschen.' Eine Ausnahme von dieser Regel wäre, wenn man einen hohen Titel, einen sehr vornehmen Namen hätte, etwa vom Adel stammte. ... Vor dem reichen, fein gekleideten Menschen zieht man den Hut, vor dem Hochgeborenen macht man Bücklinge, dem Titel beweist man Ehrfurcht - und den armen Menschen läßt man unbeachtet laufen. Da aber Besitz, Adel, Titel und dergleichen nur zufällige Äußerlichkeiten sind ..., so zieht man ja wahrhaftig den Hut vor dem toten Metall, macht Bücklinge vor einem leeren ... Worte ... Deshalb bin ich bei meiner geringen Menschenkenntnis dahin gekommen, arme, unscheinbare Menschen mindestens so respektvoll zu grüßen, wie andere, die sich weiß Gott mehr dünken. ...Wer ... seine Mitmenschen nicht als ebenbürtig ansieht, der verdient den Namen Mensch nicht, sondern ist eine Karikatur, ein entartetes Geschöpf, ein Ausbund großer Torheit [14] ..."

Als Kugelmeier diese Zeilen schrieb, stand seine Versetzung schon fest: am 20. Mai 1914 verließ er Blatzheim. Läßt man Ironie und Schärfe der Artikel einmal beiseite, so scheint in Kugelmeier jemand sichtbar zu werden, der sich vorbehaltlos für das "einfache Volk" einsetzte, der Wert legte auf den Willen der Mehrheit, der offensichtlich ein Demokrat war.

Die Frage ist, konnte Pfarrer Kugelmeier wirklich glauben, an den Gremien Kirchenvorstand (Kirchenneubau, Geldfrage) und Gemeinderat (Friedhofsfrage) vorbei bzw. gegen sie so radikal, mit solchen Worten - abgesehen von den tatsächlichen Schwierigkeiten (vgl. Kap.5) - , "nur" mit dem Druck des Volkes sein Ziel zu erreichen, zu einer Zeit, als noch der Kaiser herrschte, als in Teilen Deutschlands - so auch in Blatzheim - das preußische Dreiklassenwahlrecht bestimmend war?

Oder schrieb er letztlich immer schärfer, weil er wußte, daß er versetzt werden sollte? In einem Brief vom 16.3.14 schrieb er an von Loe: "Zwar habe ich angedeutet, daß ich das Feld räumen, d.h. den Staub von den Füßen zu schütteln gedächte und Spaß war mir das nicht. Einstweilen aber bin ich noch da, und so lange ich noch da bin, tue ich, was ich kann. ... Da sich der Kirchenbesuch und Gott dank auch der Sakramentenempfang hierselbst sehr gehoben hat, so sind des Raummangels im Gotteshaus wegen, unhaltbare Verhältnisse entstanden. Ich werde pflichtgemäß den Kirchenbesuch und Empfang der hl. Sakramente noch zu heben und zu fördern suchen. ... Besser auch ein kurzer gesunder Krieg, eine flott kräftige Auseinandersetzung, als ein langer fauler Friede, bei dem die Massen verderben [15]."

Aber auch ca. 30 Jahre später schreibt Kugelmeier noch: "Es ist schlimm, wenn die Obrigkeit die Volksseele eines Ortes nicht kennt, nicht versteht, falsch behandelt. Mit Katzebuckeln vor Reichtum, hohem Stand und Namen ist dem Volk nicht gedient. Das Volk will Liebe, Anerkennung, Berücksichtigung. Das Volk sucht Hilfe in der Not und nicht Steine statt Brot [16]."

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