Blatzheimer Geschichte und Geschichten
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Pfarrer August Kugelmeier, 1862-1951

8. Kugelmeiers Versetzung

In seiner rückblickenden Betrachtung schreibt Kugelmeier: "Wer objektiv über die Sache dachte und den Mut hatte, ein Urteil abzugeben, hat mir Recht gegeben. Auch die kirchliche Behörde mußte mir Recht geben, meinte aber, ich hätte "diplomatischer" vorgehen sollen. Auch damit waren meine kirchlichen Vorgesetzten einverstanden, daß ich es bei Lage der Dinge besser hielt, die Stelle freiwillig niederzulegen [27]." In seinem Brief an von Loe vom 16.3.14 meinte er: "Zwar habe ich angedeutet, daß ich das Feld räumen, d.h. den Staub von den Füßen zu schütteln gedächte, und Spaß war mir das nicht. Einstweilen aber bin ich noch da, und so lange ich da bin, tue ich, was ich kann [28]."

Nicht nur Kugelmeier selbst, auch andere waren an seiner "freiwilligen" Versetzung aus Blatzheim beteiligt, so z.B. Bürgermeister Reichert: "Infolge der Vorstellung des Unterzeichneten bei dem Herrn Erzbischof ist die Versetzung des Pfarrers angeordnet [29]. Nach dem Bericht Reicherts "betr. Landfriedensbruch" war Reichert am 16. März 1914 beim Erzbischof. Auch Baron von Loe ist wegen einer Versetzung in Köln vorstellig geworden. Im Schreiben vom 7.10.1916 an den Erzbischof beklagt er sich darüber, daß man Kugelmeier nicht rechtzeitig versetzt habe; denn dann wäre es nicht zu den schlimmen Vorkommnissen in Blatzheim gekommen. "Leider verstrich eine Woche nach der anderen und obwohl ich auch eine Reihe von Domherren besuchte und auch sie auf den Ernst der Entwicklung aufmerksam machte, wurde schließlich ein mittlerer Ausweg gefunden, indem man dem Herrn Kugelmeier eine andere Pfarre anbot [30]."

Nach Angaben von Bürgermeister Reichert machte Kugelmeier am 14. April seine Versetzung bekannt. "Es erfolgten nun Deputationen nach dem erzbischöflichen Generalvikariat, welche die Zurücknahme der Versetzung erwirken sollten. Der Pfarrer befolgte nur kurze Zeit nach außen hin eine maßvolle Zurückhaltung, um so mehr wirkten seine Anhänger in geradezu mittelalterlichem Fanatismus. Man verfertigte Eingaben an die kirchlichen und weltlichen Behörden wegen Rückgängigmachung der Versetzung. Am Abend wurden auf öffentlichen Plätzen, wo Kreuze stehen, Gebetsandachten abgehalten für die Aufhebung der Versetzungsverfügung3l." Die Erregung wuchs, Häuser wurden mit Kot beschmiert, erste Flugblätter und Drohbriefe gegen die "Gegner" wurden verteilt und versandt. Das ganze Blatzheimer "Volk" war auf den Beinen. Später, am 12. Juni 1914, schreibt die Rheinische Zeitung hierzu: "Generalvikar Dr. Kreuzwald in Köln schlug die Bitte der Deputation, den Pfarrer in Blatzheim zu belassen, brüsk mit der Bemerkung ab, die Blatzheimer hätten nichts zu bestimmen. Über die Pfarrei verfüge er, der Pfarrer werde eben versetzt. Begreiflicherweise hat dieses unverständliche Verhalten die Erregung in Blatzheim zur Siedehitze gesteigert." Erste Schüsse fielen. Mehrere Polizisten wurden nach Blatzheim beordert. "Der Terror mit Gewalttätigkeiten hatte begonnen", urteilte Bürgermeister Reichert [32].

Daneben forderte der Regierungspräsident über den Landrat eine weitere Stellungnahme vom Bürgermeister, der in seinen Schreiben vom 10.4.14 davon ausging, daß die Schließung des alten Friedhofes frühestens zum 1. Juli würde erfolgen können [24]."

Aufgrund der Auseinandersetzungen war offensichtlich niemand an einer Beschleunigung des Verfahrens interessiert. Die notwendigen Beschlüsse seitens des Gemeinderates wurden nicht bzw. nur mit Verzögerung in Angriff genommen. Hierzu paßte auch der Beschluß des Gemeinderates vom 28. Febr. 1914, dem Antrag des Kirchenvorstandes auf Überlassung des alten Friedhofes nicht oder noch nicht stattzugeben. Darauf ging Pfarrer Kugelmeier massiv gegen die "Gegner" vor (vgl. oben Kap. 6: Märzausgabe des "Katholischer Hausfreund"). Fünf Mitglieder des Kirchenvorstandes reagierten, indem sie folgenden Antrag zur Kirchenvorstandssitzung am 14.3.1914 einbrachten: "Der Kirchenvorstand erblickt in dem Beschluß des Gemeinderates vom 28. Febr. ds. Jrs. keineswegs eine grundsätzliche Ablehnung des Kirchenvorstandes um Überlassung des alten Kirchhofes und beschließt, eine Kommission, bestehend aus den Herren..., einzusetzen, um mit der Civilverwaltung die eingeleiteten Unterhandlungen zu einem Abschluß zu führen... [25]" Baron von Loe geht in seinem Schreiben vom März 14 an Kugelmeier hierauf näher ein: ". ..und so habe ich ... eine Vorbesprechung veranlaßt, in der wir beschlossen, im Interesse der aktiven Förderung des Kirchenbaues zur Verhandlung mit der Civilgemeinde die Einsetzung einer Kommission zu beantragen, der Sie aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht angehörten, denn es war klar, daß nach den Kränkungen und Angriffen, die Sie gegen Bürgermeister und Gemeinderat soeben erst gerichtet hatten, eine Verhandlung, die Sie an jener Stelle anzuknüpfen unternehmen würden, weniger Aussicht auf Erfolg hatte, ... Irrig ist es, wenn Sie meinen, wir hätten über Sie zu Gerichte sitzen wollen. Unter ganz ungewöhnlichen Umständen und bewußt unserer Pflicht und Verantwortung, haben wir lediglich als ernste Männer Rat geschlagen, welcher Weg zum Frieden führen könne, nachdem Sie nicht nur den Gemeinderat, sondern auch uns öffentlich herabgesetzt und verdächtigt hatten.... Und wenn Sie es für zweckmäßig halten mir zu schreiben, Sie würden sich bezüglich Ihrer Artikel im Hausfreund keinen Zensor aus den Mitgliedern des Kirchenvorstandes nehmen oder sich überhaupt Vorschriften machen lassen, so werden Sie sich wohl daran gewöhnen müssen, daß, solange Sie nicht vor dem Ansehen und der Ehre der von der Gemeinde gewählten Körperschaft Halt machen, diese solche Angriffe entsprechend zurückweisen. Zu unserer tiefen Betrübnis haben wir Tags darauf Ihre Antwort von der Kanzel gehört, daß Ihnen ein lustiger Krieg lieber sei. Nur so ist es fast auch zu verstehen, wenn Sie inzwischen Abstand davon genommen haben, der Civilgemeinde mitzuteilen, daß der Kirchenvorstand zur Weiterführung der Verhandlungen eine Kommission niedergesetzt hätte, und indem Sie entgegengesetzt dem gefaßten Beschluß des Kirchenvorstandes nunmehr persönlich als Pfarrer jene Verhandlungen aufgegriffen haben. Dieser Versuch hat infolge der bedauerlichen Lage der Dinge keine Aussicht auf Erfolg, damit ist aber auch für die Verhandlungen der eingesetzten Kommission der Boden erschwert [26]."

Aufgrund ähnlich lautender Passagen in den vorliegenden Briefen wie im Bericht des Bürgermeisters hat man den Eindruck, daß es hier Absprachen zwischen Mitgliedern der einzelnen Gremien gab, zumal einige in beiden Gremien vertreten waren. Fest steht: ein Informationsdefizit untereinander gab es nicht. Fest steht aber auch: Das Porzellan war endgültig zerschlagen; es konnte nicht mehr gekittet werden.

Am 20. Mai 1914 war es dann so weit: Pfarrer Kugelmeier verließ Blatzheim. "Das ganze weinende Volk (war) am Bahnhof [33]:" Nach dem Bericht des Bürgermeisters hat sich Pfarrer Kugelmeier "von dem ca. 400 Köpfe zählenden Publikum" folgendermaßen verabschiedet: "Beruhigt Euch, Ihr Leute, in zwei Monaten bin ich wieder hier." Am Abend waren ca. 800 Leute auf der Straße. Fensterscheiben wurden eingeworfen; die elektrische Straßenbeleuchtung wurde "böswillig" außer Kraft gesetzt, Laternen wurden eingeworfen; es wurde geschossen und gegen 23.00 Uhr wurde die Feldscheune eines Gutsbesitzers in Brand gesteckt. "Beim Emporlodern der Flammen setzte ein Freudengeheul der Volksmenge ein, welches von einem Ende des Dorfes bis zum anderen Ende sich fortpflanzte." Am folgenden Tag waren 1.000 Leute auf der Straße [34]. Der Kampf um Kugelmeier war entfacht.

Engelbert Onnau versuchte sogar, den Papst einzuschalten. Er schrieb an seinen Vetter Ludig von Pastor, den Papstbiographen, nach Rom: "Es gibt nur eine Möglichkeit, alles wieder gutzumachen, Kugelmeier muß unbedingt wieder nach Blatzheim. Jedoch wird das Vikariat sich nicht gerne die Blöße geben. Im anderen Falle wird aber in dieser nur katholischen Gegend, wo man die Sozialdemokratie nur dem Namen nach kennt, sich dieselbe unbedingt einbürgern, da die Geschichte von Blatzheim sich über die ganze Rheinprovinz verbreitet hat. Dies ist mein Anliegen: Sollte es Dir möglich sein, zu bewerkstelligen, vielleicht beim Hl. Vater Pius X., daß der Herr Pastor Kugelmeier wieder nach hier kommt, versichere ich Dir im voraus meinen größten Dank sowie den Dank von der ganzen Bürgerschaft von Blatzheim."

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